Vokalwerke mit Begleitung

Vorwort zu Band 5

Neben 18 Motetten für gemischten Chor a cappella (→ MvC-Edition Band 4 Motetten) hat Martha von Castelberg auch zehn Werke geschrieben, bei denen der Chor instrumental begleitet wird. Diese Werke lassen sich in drei Abteilungen aufteilen: erstens Motetten mit Begleitung durch ein Tasteninstrument (überwiegend explizit Orgel), zweitens Motetten mit Orgel- und Posaunenbegleitung, drittens Motetten mit Begleitung durch ein gemischtes Blechbläserensemble. Anders als bei den Motetten a cappella, die alle für die herkömmliche vierstimmige gemischte Besetzung geschrieben sind, sieht Martha von Castelberg hier in einigen Fällen auch andere Chorzusammenstellungen vor. Neben der vierstimmigen Normalbesetzung (Sopran, Alt, Tenor, Bass) gibt es auch dreistimmige Aufteilungen, sowohl gemischt (Alt, Tenor, Bass) als auch nur für Männerstimmen. Vier der Motetten mit Orgelbegleitung sowie das Tu es sacerdos (MvC 7.3) mit Blechbläserbegleitung sind zudem mit einer Solostimme versehen (Alt, Tenor oder Bass), die aber gegebenenfalls wohl auch von Chorsolisten übernommen werden kann. In der Reinschriftpartitur von Memorare (MvC 7.4) hat Martha von Castelberg diese Möglichkeit explizit autorisiert. Hier ist als Alternative angegeben, das Tenorsolo «evtl. mit einigen Tenorstimmen zu singen» bzw. das Sopransolo «evtl. mit einigen Sopranstimmen zu singen». In der Entwurfspartitur zu Memorare ist zudem in einer Fussnote vermerkt: «Bei Intonationsschwierigkeiten wären die a capella sätze ganz discret m. O. zu begleiten». Die Instrumentalbegleitung dient also nicht nur der Klangfarbenbereicherung, sondern gibt dem Chor auch eine Stütze. Trotzdem sind diese Vokalwerke nicht weniger anspruchsvoll als die A-cappella-Motetten (→ MvC-Edition Band 4 Motetten).

Die Vokalwerke mit Begleitung sind als eigenständiger Werkteil im geistlichen Schaffen Martha von Castelbergs zu betrachten. Während es bei den Liedern zahlreiche Überschneidungen zwischen den Besetzungsvarianten mit Tasteninstrument oder Ensemble gibt, hat Martha von Castelberg im Falle der Chorkompositionen auf Mehrfachvertonungen verzichtet. Eine Ausnahme ist Jesu dulcis memoria (MvC 8.1c), das in den Liedern und den Chorwerken mit und ohne Begleitung vertreten ist, wobei sogar dieselbe Sopranmelodie verwendet wird.
Die Entstehungsdaten der begleiteten Chorwerke sind unbekannt. Nur bei Tu es sacerdos für Bass-Solo, Chor und Blechbläser wissen wir anhand eines Briefes Martha von Castelbergs an ihren Sohn Guido aus dem Jahr 1951, dass es «vor zehn Jahren entstanden sei», also 1941. In ihrem eigenhändigen, bis 1943 geführten Werkverzeichnis ist aber keines der Vokalwerke mit Begleitung erwähnt. Vermutlich wurden sie überwiegend später komponiert.
Entscheidend dürfte das Jahr 1951 gewesen sein. Am 13. Januar wurde als neuer Hauptorganist der Kirche St. Martin in Zürich, Martha von Castelbergs Gemeinde, Eugenio Squarise in sein Amt eingeführt und mit der Gründung eines Kirchenchores beauftragt. Im Jahr darauf bestand der Chor, wie der Kirchenanzeiger von St. Martin mitteilt, aus 15 Sängerinnen und Sängern und hoffte auf weitere Mitglieder. Später war der Chor schon in der Lage, Messen von Schubert und Mozart aufzuführen. Vor der Gründung des eigenen Chors sangen in St. Martin gastweise zum Beispiel der Chor des Priesterseminars St. Luzi aus Chur oder die Bregenzer Knabenschola.
Ein konkreter Bezug zum Kirchenchor von St. Martin lässt sich bei Jesu spes poenitentibus (MvC 8.2) für dreistimmigen gemischten Chor und Orgel nachweisen. In den Quellen existiert eine autographe Umschrift der Tenorstimme vom Bass- in den Violinschlüssel, auf der oben links wohl als Adressat «Dir. Squariso [sic]» angegeben ist. Wie der Kirchenanzeiger von St. Martin informiert, wurde das Stück am 11. Oktober 1953 aufgeführt. Weitere Aufführungsnachweise der Vokalwerke mit Ensemble fehlen zwar im Kirchenanzeiger , dort wurde aber auch vorwiegend auf musikalische Sonderformate wie solistische Beiträge in den Betsingmessen (→ MvC-Edition Band 2 Geistliche Lieder) oder auf Kirchenkonzerte hingewiesen.
Zahlreiche Partituren der Vokalwerke mit Begleitung liegen vervielfältigt als Fotokopien vor und erhielten mittels eines weissen Kunststoffklebestreifens eine praxistaugliche Klebebindung. Die Reproduktionen der handschriftlichen Ausschriften scheinen also eigens für Aufführungen erstellt worden zu sein.
Nach dem Ende der Amtszeit von Eugenio Squarise 1954, und unter der Leitung seines Nachfolgers Hermann Fischer, wurden im liturgischen Kalender des Kirchenanzeigers von St. Martin namentlich kaum mehr Aufführungen von Musik erwähnt, insbesondere keine von Werken Martha von Castelbergs. Bemerkenswerterweise bilden einige eigene Werke des Chorleiters, der sich auch als Komponist betätigte, die Ausnahme.

Einige der vertonten Texte sind an hohe kirchliche Feiertage oder besondere Ereignisse gebunden, wie Karfreitag (Crucem tuam), Weihnachten (Weihnachts-Alleluja), das Fest der Heiligen Familie (Deus Salvator) oder die Priesterweihe (Tu es sacerdos), an denen eine Abweichung vom liturgischen Alltag in Form besonderer musikalischer Beiträge naheliegt, ohne dass dies eigens im Kirchenanzeiger der Erwähnung bedurft hätte. Der besondere Festcharakter wird bei Deus Salvator [Tu es Rex absconditus](MvC 8.3) und Tu es sacerdos durch den Einsatz der Blechbläser unterstrichen. Bei Deus Salvator sind es drei Posaunen, eine grosse Besetzung, bestehend aus Trompeten, Hörnern, Posaunen, Tuba kommt beim Tu es sacerdos zum Einsatz. Insbesondere bei Crucem tuam lässt sich eine liturgische Einbindung annehmen, da sich die sehr kurze Komposition für Solo-Bass, Chor und Orgel auf die Kreuzanrufung beschränkt, also der anderweitigen textlichen Ergänzung zur Vollständigkeit bedarf.
Einen textlichen Zusammenhang bilden die beiden ungleich besetzten Motetten Jesu dulcis memoria (MvC 8.1c) und Jesu spes poenitentibus (MvC 8.2). Die Verse stammen aus demselben Hymnus von Bernhard von Clairvaux. Die Werke mit Solistenbeteiligung nehmen zudem eine liturgische Praxis auf, die seit dem Mittelalter gebräuchlich ist. Sie sind als Responsorien gestaltet, das heisst sie beruhen auf dem Wechselgesang zwischen einem solistischen Vorsänger und einem beantwortenden Chor. Im Falle von Mane nobiscum Domine (MvC 7.2) lässt sich als Besonderheit festhalten, dass hier der Solopart von einer Frauenstimme, dem Alt, übernommen wird. Dies könnte auf eine progressive Haltung in St. Martin hindeuten, wo mit Martha von Castelberg und Alice Hoigné zwei Frauen massgeblich in der Kirchenmusik engagiert waren (Gastbeitrag von Sabina Roth).

Martha von Castelbergs Vokalwerke mit Begleitung sind über St. Martin hinaus rezipiert worden. Im Jahr 1968 nahmen der Kammerchor Johannes Fuchs – unter der Leitung des Namensgebers – und Erich Vollenwyder an der Orgel eine Schallplatte mit Motetten von Martha von Castelberg bei Phonag in Winterthur auf. Darunter waren auch die orgelbegleiteten Vokalwerke Surge Jerusalem, Crucem tuam, Mane nobiscum Domine, Jesu spes poenitentibus und Memorare. Für die Schallplattenaufnahme wurden eigens von einem professionellen Kopisten Chorpartituren hergestellt. Die im Nachlass Martha von Castelbergs befindliche Partitur ist allerdings unvollständig, Vollenwyders Orgelstimme konnte nicht gefunden werden.

Auf der Entwurfspartitur zu Memorare befindet sich ein von Martha von Castelberg geschriebener Namensvermerk, der auf eine Verbindung zu Joseph Iten-Kottmann (1897–1969) hindeutet, der Musikdirektor des Musikvereins von Bremgarten war. Ob Martha von Castelberg eine Aufführung mit dem dortigen Musikverein plante, oder ob es einen anderen Grund für die Erwähnung gibt, lässt sich nicht ausmachen. Iten-Kottmann komponierte selbst Chorwerke, auch mit Orgel- und Bläserbegleitung, und veröffentlichte diese unter anderem im Verlag M. Ochsner in Einsiedeln. Es ist also möglich, dass Martha von Castelberg mit ihm den professionellen Austausch in Erwägung zog.
Im Falle von Tu es sacerdos hingegen ist verbürgt, dass Martha von Castelberg den Komponisten Erich Schmid 1951 konsultierte und ihm die noch in der Entstehung befindliche Komposition zeigte. Von dem positiven Resultat berichtete die Komponistin, wie bereits erwähnt, brieflich ihrem Sohn Guido: «Erich Schmid hat am Samstag sehr ausführlich meine Ausführungen verfolgt. [...] Als ich es gespielt hatte, sagte er, er sehe gar nicht ein, dass da irgend etwas störe (es sei sehr schön), besonders, weil auch das Beatus sich gut einfüge [...] Das Schwere komme jetzt, und von dem werde das Ganze abhängen. Bis zum Beatus sei es wirklich gut. Sie haben sich eine schwere Aufgabe gestellt, und er sei gespannt, wie das noch verlaufe.»
Diese Gesprächswiedergabe passt nicht recht zu den überlieferten Quellen. Diese reichen nur bis zum besagten «Beatus», die Partitur wird mit einem Enddoppelstrich abgeschlossen. Schmids Äusserung lässt hingegen vermuten, dass zunächst ein viel umfangreicheres und komplexeres Werk intendiert war. Möglicherweise hatte Martha von Castelberg ursprünglich den Plan, mit dem Tu es sacerdos ein Pendant zum Domine, non sum dignus für Alt-Solo und Orchester (→ MvC-Edition Band 7) zu schaffen. Das Titelblatt («Chor» unterhalb der eigentlichen Besetzungsangabe) und der auf der dritten Partiturseite offenbar nachträglich in die Blechbläsersysteme hineingeschriebene Choreinsatz könnten auf eine erste Werkidee für Bass-Solo und Blechbläser noch ohne Chor hindeuten, die dann verworfen wurde. Nach dem Seitenwechsel weisen die auf einen neuen Papierbogen geschriebenen folgenden Partiturseiten eine normale Systemaufteilung mit eigenen Chorsystemen auf. Möglicherweise ist dieser zweite Bogen nachträglich eingefügt worden. Ob es an seiner Stelle vormals einen anderen Bogen bereits mit der Fortsetzung einer Fassung ohne Chor gab, lässt sich nicht sagen. Für ein grossangelegtes Werk mit Blechbläsern war Erich Schmid als Berater prädestiniert. Er hatte 1931 eine Suite für Blasorchester und Schlagzeug geschrieben.

Knud Breyer (Berlin), im Januar 2024

Hier finden sie Material zu Martha von Castelberg.
Audio- und Videodokumente finden sie auf
unserem YouTube-Kanal.

Biografie Martha von Castelberg
(PDF)

Biografie Martha von Castelberg
(Word Download)

Liste der Werke
(PDF)

Bilder zu Pressezwecken.
(zum Download auf das Bild klicken)

3.6MB
3.3MB
6.5MB
1.2MB
1.9MB
2MB

Bildlegenden (PDF)
Bilder komplett (Download JPEG 18MB/zip)

Wünschen sie weitere Informationen oder Materialien?
Bitte nehmen sie mit uns Kontakt auf.