Orgelfassung der Messe
Vorwort zu Zusatzband Band 6 (Orgelfassung der Messe)
Die Messe (MvC 9.1) in C-Dur für Soli, Chor und Orchester (vermutlich aus dem Jahre 1948) ist eines der ambitioniertesten Werke der Komponistin Martha von Castelberg (→ MvC-Edition Band 6 Messe). Trotz der authentischen Melodik, Harmonik und Textdeutung konnte das Werk zeitgenössische Zürcher Kirchenmusiker nicht überzeugen, was vermutlich vor allem der etwas heterogenen Instrumentation zuzuschreiben ist, welche das Klangbild als Ganzes prägt. Die Komponistin unternahm dann auch Ansätze zu einer Orgelfassung (es existieren das Kyrie und das Sanctus), die eher einem Klavierauszug nahekommen. Martha von Castelberg komponierte hauptsächlich am Klavier. Ihr Verhältnis zur Orgel ist vermutlich vom Hörerlebnis in katholischen Gottesdiensten geprägt, wo sie zu ihrer Zeit mehr als Klangkulisse und als Hilfsmittel zur Unterstützung des Gemeinde- und Orgelgesanges diente und als autonomes Instrument kaum zur Geltung kam.
Die vorliegende Orgelfassung der Messe geht nun explizit von einem selbständigen Orgelklang aus, wie er sich etwa in den Messen von Antonín Dvořák, William Montillet, Gustav Eduard Stehle, Otto Rehm, Albert Jenny oder Johann Baptist Hilber findet. Sie berücksichtigt sowohl Martha von Castelbergs Instrumentation (→ MvC-Edition Band 6) als auch ihre fragmentarischen Übertragungen für Orgel und strebt auf diese Weise ein geschlossenes Klangbild des Werkes an.
Sogenannte Orgelmessen waren zur Zeit Martha von Castelbergs weit verbreitet, da der strenge Cäcilianismus den Einbezug des Orchesters in der Liturgie missbilligte. Die Komponistin kam schon früh mit solchen Werken in Kontakt, möglicherweise schon in ihren Internatsjahren in dem von Nonnen geführten Institut des Dames de Saint-Augustin in Scharnbeck (Belgien), wo vermutlich auch Messen des legendären belgischen Priestermusikers Julis van Nuffel (1883–1953) erklangen. Sicherlich erlebte sie diese Form der Messekomposition aber in den Klöstern Einsiedeln und Disentis sowie in den musikalisch aktiven Zürcher Kirchen Liebfrauen, Peter und Paul und Herz-Jesu Wiedikon. Stilistisch finden sich in ihrer Messe offensichtlich Inspirationen durch entsprechende Werke des Benediktiners P. Otto Rehm (1887–1971), der seinerseits Schüler von Joseph Haas (1879–1960) war und in Einsiedeln mittelbar das Erbe Max Regers weiterführte.
Dynamische und artikulatorische Hinweise wurden aus der Orchesterpartitur übernommen und mit Blick aufs Ganze ergänzt. Dabei wurde, wiederum zeitgemäss, von einem grundsätzlichen Legatospiel der Orgel ausgegangen, und Bogensetzungen nur dort übernommen, wo sie formal wichtig erschienen. Es ist Sache des Organisten und der zur Verfügung stehenden Orgel, eine adäquate und gleichzeitig eigenständige Registrierung zu finden, die sowohl dem Chorsatz als auch der Akustik gerecht wird und die angestrebte klangliche Geschlossenheit unterstützt.
An wenigen Stellen wurden satztechnische Härten der Partitur, die in einer Orchesterfassung weniger auffällig sind als in einem obligaten Orgelklang, korrigiert. Ebenso wurde an einigen wenigen Stellen die Stimmführungen an das Instrument angepasst. Auch in dieser Hinsicht sind die Organistinnen und Organisten gefordert, insbesondere bei der Registrierung des Pedals.
Aus meiner Sicht bringt die vorliegende Orgelfassung die unbestreitbaren Qualitäten der Messe von Martha von Castelberg gut zur Geltung und erweitert die Aufführungsmöglichkeiten. Das Werk könnte somit für gute Chöre eine dankbare Bereicherung des schmalen «katholischen Repertoires» jener Zeit darstellen.
Alois Koch, Am Feste der Hl. Cäcilia 2024
Alois Koch Der Dirigent, Organist und Musikwissenschaftler Alois Koch lebt und arbeitet in Luzern. Als Professor und ehemaliger Rektor der Musikhochschule Luzern widmet er sich besonders Fragen der geistlichen Musik in Geschichte und Praxis sowie dem schweizerischen Musikschaffen.
In zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen und Vorträgen hat er die Forschungsergebnisse für Öffentlichkeit, Lehre und Praxis zugänglich gemacht