Messe

Vorwort zu Band 6

Martha von Castelbergs Messe für Soli, Chor und Orchester war ihr erstes Werk mit grossem Orchester. Später folgte noch das Domine, non sum dignus für Alt-Solo und Orchester, das 1968 im Rahmen einer Rundfunkaufnahme mit Elsa Cavelti als Solistin uraufgeführt wurde. 1947 hatte Martha von Castelberg ihre erste Notenpublikation beim Verlagshaus Hug unterbringen können, Sieben geistliche Lieder, und dafür viel Anerkennung erfahren im professionellen Bekanntenkreis, so von der Sängerin Olga Kalliwoda, dem Dirigenten Walther Reinhart und Pater Friedrich Ziegler vom Kloster Einsiedeln. Beflügelt von diesem Erfolg machte sich Martha von Castelberg auf, für sich Neuland zu entdecken und zu bewältigen. 1947/1948 entstand die Klaviersonate, und eben etwa zur selben Zeit wurde das ungleich anspruchsvollere Projekt einer Messe mit grossem Orchester in Angriff genommen.

Am 2. März 1948 erkundigte sich Olga Kalliwoda nach dem Fortgang der Messe, da sich durch einen Kirchenchor in ihrer ungarischen Heimatstadt Pésc, der grösstenteils aus Schülern des Konservatoriums bestand, eine Aufführungsmöglichkeit ergäbe. Ein halbes Jahr später hatte die Messe Formen angenommen, wie ein Brief von Anni Abegg-Stockar, der mit Martha von Castelberg bekannten Gattin des Textilindustriellen Carl Abegg, nahelegt. Am 10. November 1948 zeigte sich Anni Abegg-Stockar «noch ganz erfüllt vom Benedictus u. den anderen ernsten Orchesterwerken» und bedankte sich dafür, dass «Sie mich so lieb in Ihre Compositionen einweihten. [...] Es waren schöne Stunden des Lauschens, Mitgehens und Aufnehmens, die noch weiter in mir klingen. [...] mich in einer Kirche denkend u. der Gewissheit, dass eine geistliche Musik Vielen Nahrung und Trost sein kann.» Zumindest das Benedictus war zu diesem Zeitpunkt also fertiggestellt, und da bis dato keine «anderen ernsten Orchesterwerke» der Komponistin vorlagen, wird sich die Einführung, möglicherweise am Klavier, wohl auf weitere Sätze der Messe bezogen haben, die sich vermutlich noch im Entwurfsstadium befanden, deren Wirkung aber schon erahnbar war.

Nach der Fertigstellung sandte Martha von Castelberg die Messe an Hermann Odermatt, den Chordirektor der Zürcher Liebfrauenkirche und Chefredakteur der katholischen Neuen Zürcher Nachrichten, zur Begutachtung, vielleicht, weil sie auf eine Aufführungsmöglichkeit in der Liebfrauenkirche hoffte. Die Antwort (undatiert) war ernüchternd:

«Es hat gute Partien darin. Neben hübschen melodischen Einfällen harmonisch interessante Wendungen. Einige Partien scheinen mir zu konventionell.

[...] Auch vermisse ich eine konstruktive Thematik und eine konsequente formale Behandlung. Auch der Chorsatz dürfte da und dort doch etwas mehr imitatorische Behandlung aufweisen. [...] Die Instrumentation ist etwas ungelenk und dürftig.»

Das entmutigende Urteil Odermatts musste Martha von Castelberg empfindlich treffen. Es ist nicht bekannt, ob Martha von Castelberg je wieder eine Aufführung ihres Orchestererstlings konkret in die Wege zu leiten versuchte. Aufführungsmaterial in Form von Orchesterstimmen ist nicht überliefert. Es existiert allerdings eine Aktennotiz von Martha von Castelbergs Sohn Guido, in der er sich bereit erklärt, Johannes Fuchs, dem Leiter des Kammerchores Zürich, «Fr. 500.- an die Druckkosten einer Publikation für die Aufführung einer Messe in lateinischer Sprache beizutragen.» Ob sich diese Notiz vom 20. Juni 1967 auf die Messe seiner Mutter bezog, kann nur vermutet werden. Von einer Realisierung ist nichts bekannt. 1968 spielte der Fuchs-Chor jedoch bei Phonag in Winterthur einige Motetten Martha von Castelbergs auf Schallplatte ein. Martha von Castelberg hatte auch eine Orgelfassung der Messe geplant, die eine Aufführung auch im kleineren kirchlichen Rahmen ermöglicht hätte. Sie ist aber im Entwurfsstadium stecken geblieben. Reinschriften gibt es nur vom Kyrie und vom Sanctus. Diese Partituren sind aber hinsichtlich ihrer Falzung so eingerichtet, dass sie für einen Organisten als Aufführungsmaterial verwendet werden können. Aber auch hier ist eine öffentliche Darbietung nicht nachweisbar.

Martha von Castelberg hatte nie systematischen Kompositionsunterricht erhalten. Lediglich 1935 nahm sie für einige Zeit Privatstunden bei dem Dirigenten und Chorleiter Walther Reinhart. Ihre Kenntnisse brachte sie sich weitgehend autodidaktisch bei. Schwarze Ringhefte mit Studien zur Kontrapunkt- und Melodielehre, aber auch zur Generalbass- und Harmonielehre zeugen von Martha von Castelbergs Eifer. Diese Hefte stammen aus den späten 1940er Jahren, da sie Entwürfe sowohl zur Klaviersonate als auch zur Messe enthalten. Ihre theoretischen Kenntnisse in der Orchesterbehandlung fussen auf den namhaften Lehrwerken der damaligen Zeit. In Martha von Castelbergs Bibliothek sind Hugo Riemanns Handbuch der Orchestrierung (1921) und Karl Nefs Geschichte unserer Musikinstrumente (1926) ebenso vertreten wie das entsprechende Standardwerk von Hector Berlioz in der Überarbeitung von Richard Strauss (Instrumentationslehre) aus den Jahren 1904/05. Das Studienmaterial lässt aber keine systematische Beschäftigung mit diesem Gegenstand erkennen.

Wie Alois Koch im Gastbeitrag zu Band 6 betont, war Martha von Castelberg eng vertraut mit der zeitgenössischen Messekompositionspraxis in den Klöstern in Disentis und in Einsiedeln. Wenngleich ihre Messe nicht der dortigen sinfonischen, vor allem an Anton Bruckner orientierten Messtradition entspricht, so lässt sich doch in der Messe Martha von Castelbergs eine stilistische Vielfalt erkennen, die sich abhebt vom cäcilianistischen Einfachheitsideal ihrer Motetten. Erwähnenswert ist auch, dass viele Frauenklöster über ein reiches Musikleben verfügten und Komponistinnen die Möglichkeit boten, ihrer Begabung jenseits gesellschaftlicher Konventionen nachzugehen. Diesen Weg scheint Martha von Castelberg für sich aber nicht in Erwägung gezogen zu haben.

Knud Breyer (Berlin), im März 2023

Knud Breyer studierte Musikwissenschaft, Philosophie und Neuere Deutsche Philologie an der Technischen Universität Berlin und promovierte dort mit einer Arbeit über das späte Klavierwerk von Johannes Brahms. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hanns Eisler Gesamtausgabe (Akademie der Künste, Berlin) und der Max Reger Werkausgabe (Max-Reger-Institut/Elsa-Reger- Stiftung, Karlsruhe). Zudem war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Erich Schmid Edition an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) beschäftigt. Daneben ist er freiberuflich als Editor und Autor für verschiedene Verlage tätig.

Gastbeitrag von Alois Koch: Eine Messe-Vertonung als katholisches Glaubensbekenntnis

Fotopostkarte der Sängerin Olga Kalliwoda, die diese 1943  an Martha von Castelberg geschickt hatte.

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