Thalhof

Nachdem die Firma Pestalozzi im Talhof 1835 entschieden hatte, sich künftig ausschliesslich dem Bankgeschäft zu widmen und die Seidenproduktion sowie den -handel aufzugeben, wurde die Möglichkeit geschaffen, die Verwendung der zuvor zum Teil gewerblich genutzten Nebengebäude auf dem Areal des am Talacker in Zürich gelegenen und der Familie von Orelli gehörenden Haus «Zum Thalhof», einem herrschaftlichen Barockbau aus dem Jahre 1677, zu überdenken. Gleichzeitig waren zu dieser Zeit die Wohnräume im «Thalhof» sehr eng geworden: 1840 lebten – neben der Familie von Martha Castelbergs Uronkel Hans von Orelli-Escher (1785–1844) – die sieben inzwischen erwachsenen Kinder von Hans Conrad von Orelli-Rahn, dem Urgrossvater von Martha von Castelberg – zum Teil mit ihren Familien im Gebäude. Hans Conrad von Orelli-Ziegler, der Grossvater von Martha von Castelberg, seit 1839 Teilhaber der Firma Pestalozzi im Talhof, liess die Nebengebäude abreissen und im rückwärtigen Bereich der Liegenschaft gegen die Talstrasse – also hinter dem Wohn- und Bankhaus «Thalhof» – ein eigenes Wohnhaus, den «Hinteren Thalhof», erstellen.

Mit Gustav Albert Wegmann (1812–1858) wählte man den zu dieser Zeit wohl angesagtesten Architekten, einen Vertreter eines Stils zwischen Klassizismus und Neuromanik. Zusammen mit Ferdinand Stadler (1813–1870) und Leonhard Zeugheer (1812–1866) ist er einer der wichtigsten Vertreter der nordostschweizeizerischen Architektur nach 1830 bis zu Gottfried Sempers (1803–1879) Ankunft in Zürich im Jahr 1855. Wegmann war am Polytechnikum in Karlsruhe ausgebildet worden und knüpfte stilistisch beim Karlsruher und Münchner Rundbogenstil an und entwickelte dabei einen ausgesprochenen Sinn für zweckmässige Lösungen, Baumaterialien und Konstruktionen. Wegmann verstand die «grosse Architektur» seiner Zeit in die örtlichen, beengteren Verhältnisse zu übertragen und ein Werk zu schaffen, das Eigenständigkeit und Zweckmässigkeit mit Originalität verbindet.

Bis auf den heutigen Tag erhalten geblieben sind von Wegmanns erstellten Gebäuden die 1836 erbaute «Alte Anatomie» im Spitalpark des Universitätsspitals Zürich sowie die alte Kantonsschule Zürich (Rämistrasse 59), die zwischen 1837 und 1842 im sogenannten italienischen Stil erbaut und der von Karl Friedrich Schinkel erbauten Berliner Bauakademie nachempfunden ist. Die 1842/1843 erbaute Mädchenschule ist ein weiteres wichtiges, heute noch erhaltenes Bauwerk Wegmanns. Das ans Grossmünster angebaute Gebäude (Kirchgasse 9) wurde anstelle des abgebrochenen Collegium Carolinum erbaut. Seit 1976 nutzt die Theologische Fakultät der Universität Zürich das Gebäude. 1854 erstellte er die herrschaftliche Villa Tobler an der Winkelwiese, die zwischen 1898 und 1900 im Jugendstil umgebaut wurde und heute Geschäftssitz des Zürcher Kunsthauses ist und das Theater an der Winkelwiese beheimatet. Ebenfalls noch heute erhalten ist das zwischen 1851 und 1854 erbaute Versammlungsgebäude der Freimaurerloge Modestia cum Libertate auf dem Lindenhof sowie das zwischen 1836 und 1838 errichtete Gewächshaus im ehemaligen botanischen Garten «auf der Katz», unmittelbar hinter dem «Hinteren Thalhof» gelegen. Wegmann war nicht nur beruflich – über den Bau des «Hinteren Thalhofs» – mit der Familie von Orelli verbunden, er war es auch familiär. 1849 heiratete er Margaretha von Orelli (1816–1872), die Schwester von Hans Conrad von Orelli-Ziegler, dem Bauherrn des «Hinteren Thalhofs».

Der «Hintere Thalhof» wurde zwischen 1840 und 1843 erbaut. Unterstützung erhielt Wegmann in der Planung und Umsetzung durch einen weiteren prominenten Architekten: Hans Konrad Stadler (1788–1846). Stadler gehörte zu den ersten akademisch ausgebildeten Architekten (ebenfalls in Karlsruhe) und zu den bedeutendsten Klassizisten Zürichs. Er erhielt zahlreiche öffentliche und private Aufträge. Als Hauptwerk gilt die Neue Post an der Poststrasse (Poststrasse 1, 3, 5, 7), die zu den ersten Blockrandbebauungen der Stadt zählte. Ebenfalls erwähnenswert ist das als Schlüsselbau des frühen Bäderbaus geltende Kurhaus in Bad Schinznach mit hufeisenförmigem Badehaus. Seine Privatbauten sind geprägt von einem konsequenten Klassizismus und gehörten zu seiner Zeit zu den modernsten und elegantesten Wohnhäusern Zürichs. Erhalten sind heute die Liegenschaften «Kronentor» (Seilergraben 1), «Roter Adler» (Kirchgasse 42), «Schönbühl» (Kreuzbühlstrasse 36).

Das klassizistische Herrschaftshaus zum «Hinteren Thalhof» entsprach herrschaftlichen Ansprüchen und verfügte über eine üppige Ausstattung mit prunkvoll getäferten Zimmern, Stuckdecken und prachtvoller Einrichtung. Das stattliche Haus war Abbild der sozialen Stellung der Familie innerhalb der Stadt Zürich. Zum Ensemble des «Hinteren Thalhofs» gehörten ausserdem zwei eingeschossige Gartengebäude, welche im rechten Winkel zum Wohnhaus parallel zur Achse des Gartens, in welcher sich die Querachse des Hauses fortsetzte. Beide Gebäude verfügten im Eingangsbereich über eine Loggia mit drei Rundbogen aus toskanischen Säulen und einem Kreuzgewölbe. Die zur Loggia führende Treppe rundete sich in der Mittelachse vor und war durch eine Art Blumenvase gekrönt.

Der «Hintere Thalhof» wurde ausschliesslich von der Familie von Hans Conrad von Orelli-Ziegler und deren Nachkommen, den Familien Eduard von Orelli-von Reding sen. (1849–1927) und Eduard von Orelli-von Reding jun. (1896–1977) bewohnt.

Das Haus wurde wie auch der «Vordere Thalhof» und alle anderen Nebengebäude – 1948 abgebrochen. Die gesamte Parzelle wurde in den 1950er-Jahren mit einem modernen Geschäftshaus überbaut, das nach wie vor den Namen Thalhof trägt.

NZN 05. Juli 1947 - Nach dem Sihlgarten auch der «Thalhof»?
NZN 11. Juli 1947 - Der Thalhof – Kampf um historisches Baugut in Zürich
NZZ 13. Juli 1947 - Für die Erhaltung des «Thalhof»-Gutes in Zürich

Der Historiker Martin Schmid arbeitet im Collegium Helveticum in Zürich. Er schreibt die Familiengeschichte der Familie von Orelli, die im Jahr 2022 in Buchform erscheinen wird.

Publikation «Orelli im Thalhof 1787–1937»

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